Die hereditären chronischen Krankheiten
Die Entwicklungsgeschichte der Lehre von den chronischen Krankheiten bis zu den hereditär-chronischen Krankheiten
(Y. Laborde, G. Risch)
Zusammenfassung durch Gerhard Herrmann, Sabine Icsezer, Dr. Wiebke Lohmann und Jan Woernle
Zur Zeit als Hahnemann in den Ärztestand eintrat, existierte nur eine chronische Krankheit: die venerische Krankheit. Darunter waren alle Erscheinungen von Syphilis und Gonorrhoe zusammengefasst. Die übliche Behandlung war rein lokaler Art. Man versuchte so schnell wie möglich der Sache Herr zu werden um zu verhindern, dass die sog. "sekundäre Ansteckung“, worunter man zur damaligen Zeit den Übertritt der „idiopathischen Gifte“ in den Blutkreislauf verstand und somit die eigentliche Syphilis auslöste.
Keine andere Krankheit konnte so zerstörerisch wirken und auch das Gesellschaftsbild äußerlich so prägen: fressenden Geschwüre, typischen Hautausschläge, zerstörte Gesichtsknochen, Lähmungen, mentale und psychische Veränderungen.
Die einzige Maßnahmen die man kannte waren chirurgisch und einige wenige innere Mittel wobei das Hauptmittel Quecksilber war, das in solch ungeheuren Menge gegeben wurde, um krankmachende Stoffe auszuleiten, daß es Erbrechen, Durchfälle, starke Schweiße und erheblichen Speichelfluß hervorrief. An den unglaublichen Dosen sind viele noch vor dem Ende durch die Syphilis verstorben.
Schon die ersten 10 Jahre seiner praktischen Tätigkeit war Hahnemann mit der Syphilis konfrontiert und beschäftigte sich mit möglichen Therapien der damaligen Zeit. Dabei fand er als ein Therapeutikum (vermutlich als Antidot des Quecksilbers - Anmerk. Jan) z.B. Hepar sulphuris. Auch verfasste er 1789 ein Buch mit dem Titel „Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten“. Weitere Bücher wie z.B. „Mittel, dem Speichelfluß und den verwüstenden Wirkungen des Quecksilbers Einhalt zu thun“. Daraus wird deutlich ersichtlich, wie wenig Hahnemann von Anfang an von der gängigen Praxis hielt auch wenn Quecksilber das Hauptmittel bei Syphilis blieb.
Schon in einem Artikel von 1781 beschuldigt er die Ärzteschaft für einen großen Teil der Übertragung von Krankheiten verantwortlich zu sein, die er neben ungesunde Witterung, Mangel und Armut hauptsächlich anführt.
Für seine Behandlung waren ihm wichtig: frische Luft, verminderte Bettdecken, kaltes, kräftiges Getränk und Reinlichkeit.
Hahnemann hat bereits in seinen Schriften „Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten“ die HEILUNG NACH DEM ÄHNLICHKEITSPRINZIP beschrieben. Er schrieb: Man ahme die Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andere hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jede wird geheilet werden. So heilte er darin die Syphilis mit winzigen Quecksilbergaben von 0,06 Gramm in steigenden Mengen für die Zeit bis sich das Merkurialfieber (4 Tage lang anhaltende Erstverschlechterung scheint zur Heilung optimal zu sein) einstellte. Zur Erläuterung noch folgendes: Fieber bedeutete damals nichts anderes als Erkrankung, etwas bei der vielleicht ein Frieren oder Frösteln anwesend sein konnte. Erst die Zusatzbezeichnung wie gastrisches, Erkältungs- oder Merkurial (-Fieber) gab näheres über die Art der Erkrankung wieder. Temperaturerhöhung wie heute gehörte damals nicht zur Definition. Nur wenn Mercurialfieber kam konnte die Syphilis geheilt werden. Das Fieber ist wichtiger als die Ausleerung, welche eher nur schwächen. Geht man gegen die Ausleerungen vor erhöht sich dadurch das Fieber und man erspart dem Kranken eine Menge Kräfte. Das Geschwür wird nur mit lauem Wasser verbunden oder unverbunden gelassen. Das Geschwür heilt dann noch vor dem Ende des Fiebers ab und hinterläßt allemal noch eine kleine Narbe, die später aber auch hautfarbig und weich wird. All dies in einem Rahmen von 7-14 Tagen.
VERGIFTUNGSERSCHEINUNGEN DURCH QUECKSILBER (=MERKURIALFIEBER): starker Speichelfluß, Durchfälle, Schweiße, metallischer Geschmack und üble Empfindung im Mund, widriger Geruch in der Nase, schmerzloses, hörbares Kollern in den Gedärmen, erdfahles Aussehen, blaue Ränder um die Augen, spitze Nase, blasse bleifärbige Lippen, einen ununterbrochenen oder oft immer stärker wiederkehrenden Schauder, der tief, selbst das Innerste des Körpers durchbebt, kleinen, hart und sehr geschwinden Puls, Brechneigung, Ekel gegen Alles, besonders thierische Nahrungsmittel, sehr heftiger Kopfschmerz von reißender und drückender Art im Hinterhaupte und über der Nasenwurzel. Nase, Ohren, Hände und Füße sind kalt. Wenig Durst. Der Schlaf schwindet, kurze fürchterliche Träume, mit häufigen kleinen Schweißen untermischt. Mattigkeit sowie Unruhe und ängstliche Beklommenheit. Glänzende Augen, wie voller Wasser, verstopfte Nase, steife Halsmuskeln wie vom Rheumatismus, weißliche Zunge. Unbequemlichkeit im Schlucken, stechender Schmerz an der Zungenwurzel, Lockerheit oder Stumpfheit der Zähne, Parodontose und schwammiges, rotes, schmerzhaftes, geschwollenes Zahnfleisch, Anschwellung der Mandeln und Unterkinnbackendrüsen und einen erträglichen spezifisch ranzigen Geruch aus dem Munde ohne vermehrtem Speichelfluß, Durchfall oder übermäßigem Schweiß.
Unschmerzhafte Geschwüre bei älteren Frau an Oberschenkel.
Hahnemann wollte sich als FACHARZT FÜR CHRON. KRANKHEITEN sehen. Er hatte sich jahrelang intensiv mit schweren chronischen Fällen beschäftigt als er dann 1796 mit schwersten Geistes- und Gemütskrankheiten konfrontiert wurde. Als erster Fall wurde ihm Klockenbring gebracht, aus königlichem Umfeld und geisteskrank, behandelte er ihn nach seinem Wissen und lernte zusätzlich an ihm den Geistes- und Gemütsbereich zu erfassen und in sein System zu integrieren. Über die Todesursache, 2 Jahre nachdem Hahnemann ihn von seinem Leiden geheilt hatte, bestehen verschiedene Berichte. Man spricht von Herzinfarkt, Hahnemann führt den Tod auf die Folgen einer Operation aufgrund eines Harnverhalts zurück. Von homöopathischem Standpunkt betrachtet ist ersichtlich, dass auf die Heilung der Geistesstörung mit Stramonium eine körperliche Erkrankung folgte. Dies bedeutet, dass Stramonium nicht den Kern erfasste sondern lediglich palliativ aus der akuten Manie herausführte. Die WICHTIGE ANTIMIASMATISCHE THERAPIE, auf welche er auch in den §214-230 des Organons (speziell im §222) eingeht, führte er in diesem Fall nicht durch.
Ebenfalls 1796 ging er das erste Mal mit seinem Heilverfahren des Ähnlichkeitsprinzips in die Öffentlichkeit. Er geht darauf ein, wie vorhandene Symptome durch gegenseitig wirkende Mittel unterdrückt werden und somit anfänglich gelindert werden, trotz ständiger Dosiserhöhung immer weniger wirken und letztlich keine Heilung bringen sondern zusätzlich noch selbst schädliche Wirkung auf den Organismus haben. Dies gilt auch für akute Erkrankungen.
Er schreibt über das ÄHNLICHKEITSPRINZIP: „Jedes wirksame Arzneimittel erregt im menschlichen Körper eine Art von eigner Krankheit, eine desto eigenthümlichere, ausgezeichnetere und heftigere Krankheit, je wirksamer die Arznei ist. Man ahme die Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andre hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andere, möglichst ähnliche künstliche Krankheit zu errechen im Stand, ist, und jene wird geheilt werden; Similia similibus.“
• Die Homöopathie gab es schon vor 1790, und zwar von Hahnemann bei der Behandlung der Syphilis praktiziert!
• Er fand die Grundlagen dafür bei der Erforschung und Therapie der Syphilis – der chronischen Krankheit!
• Er hatte nur ein einziges „Spezifikum“ dafür: Mercurius solubilis.
Für ihn war frühzeitig wichtig, die ARZNEIMITTELWIRKUNG genau zu kennen und zu unterscheiden an welchen Orten und in welche Richtungen die Arzneikräfte eines Mittels wirken. Zum damaligen Zeitpunkt klagte er immer wieder darüber, daß für viele Krankheitszustände noch keine Arzneimittel bekannt waren.
Zur Zeit als Hahnemann nur die Syphilis kannte und ihr alle warzenartigen Geschwüre zuordnete, verlangte er dies durch Erzeugung des Mercurialfiebers zu heilen. War dies nicht möglich, erlaubte er vorübergehend palliativ zu behandeln. Die Sykose kannte er zu dieser Zeit noch nicht. Das genaue Problem lag darin die Essenz der Mittel herauszufinden. Arzneimittelprüfungen kamen erst später hinzu.
• Hahnemann war vor 1790 beileibe nicht der an seinem Beruf verzweifelnde Arzt, der nur i Dunkeln herumtappte, wie man es in manchen Biographien lesen kann, sondern er war einer, der durch ein – für die damalige Zeit – erstaunlich modernes und gründliches Buch seine Kollegen unterrichten wollte, der sogar bei einer der Geisseln der Menschheit, der Syphilis, wunderbare Erfolge hatte.
• Es fehlt ihm im Grunde nur noch eines: der sichere Weg herauszufinden, wie die Arzneikräfte wirken.
Dann kam 1790 der Chinarindenversuch als Konsequenz jahrelanger Studien und Beobachtungen, zu Heilendes mit einer ähnlichen künstlichen Krankheit, wie er es bis dahin beobachtet hatte, zu heilen. Dies war der erste Schritt zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen durch Arzneimittelprüfungen am Gesunden.
Die Schwierigkeiten daran lagen an 1) dem Sammelsorium unterschiedlicher Symptome bei den Prüfungen und 2) die chronischen Krankheiten. Akute Erkrankungen konnten mit großem Erfolg geheilt werden, bei den chron. Krankheiten versagten gut gewählte Mittel oder wirkten nur palliativ. Hahnemann unterschied hierauf folgende Arten (§§73 Organon)
• Akute Krankheiten
• Epidemische Krankheiten
• Chronische Krankheiten
Die chronischen Krankheiten können nur durch bestimmte Mittel geheilt werden. Die Psora durch 47 Mittel welche in Band 2-5 der chron. Krankheiten beschrieben werden, da sie zu vielfältig oder anders gesagt, zu wenig „rein“ oder „einfach“ war, um nur ein Spezifikum haben. Die Syphilis durch Mercurius solubilis (wenn nicht mit der Psora kompliziert) und eine neue eigenständige Krankheit, die Sykose, welche er in erster Linie mit Thuja und Acidum nitricum behandelte.
Die Schwierigkeiten bei den chronischen Krankheiten liegt an dem Erkennen und Zuweisen der ARZNEIMITTELPRÜFUNGSSYMPTOME, welche gut für akute Erkrankungen herzunehmen sind, allerdings für sich lange entwickelte Zustände und Endzustäde nicht hernehmen lassen. Ein Symptom, das in den ersten Stunden oder Tagen einer Arzneimittelprüfung aufgetreten ist, kann nicht einem Symptom, das bei einer chronischen Krankheit nach drei Jahrzehnten oder erst bei der nächsten Generation erschienen ist, im homöopathischen Sinne „ähnlich“ sein. Bei solchen alten Erkrankungen haben wir heute nur die Möglichkeit der klinischen Erfahrungen. Heute kann man sagen, dass ca. 250 Mittel bei chronischen Miasmen die Kraft haben etwas zu bewirken.
Die CHRONISCHE KRANKHEIT hat die Eigenschaft nicht alleine zu verschwinden oder vom Körper ausgeheilt werden zu können, außer durch die entsprechende Arzneimittelgabe. Sie begleitet einen bis in den Tod und nimmt bis dahin kontinuierlich zu, da kein Vermögen vorliegt sie zu überwältigen oder aus eigener Anstrengung fortzuschaffen. Letzteres ist der Hauptunterschied zu den akuten Krankheiten.
• Der Kern der Lehre Hahnemanns von den chronischen Krankheiten liegt literarisch schon 1789 im „Unterricht für Wundärzte ...“ fest.
• Die chronische Krankheit ist ein eigener Typ von Krankheit, der dadurch gekennzeichnet ist, daß die Lebenskraft keine Abwehr gegen sie besitzt (im Gegensatz zur akuten Krankheit, bei der es eine Abwehr gibt, die zur Krisis mit anschießender Heilung führen kann).
• Die chronische Krankheit nimmt immer weiter zu, ihre Leiden werden stärker, sie führt in die Destruktion.
• Das Model für eine chronische Krankheit war für Hahnemann die Syphilis.
Die einzige Möglichkeit die der Erkrankte hat, ist nach Hahnemann die Ausbildung eines „LOKALÜBEL“. Diese zu belassen verringert die Geschwindigkeit des Fortschreitens der chron. Erkrankung.
1. Ein Lokalübel ist ein Signal: es zeigt das Vorhandensein des inneren Miasmas an. Es darf daher unter keinen Umständen durch örtliche Maßnahmen behandelt und zum Verschwinden gebracht werden. Außerdem dient es unbehandelt als Anzeiger der Krankheit und zeigt uns eine gewisse Tendenz im Heilungsverlauf.
2. Ein Lokal-Übel bringt die innere Krankheit vor der Hand zum Schweigen, es beschwichtigt das innere Übel. Auch aus diesem Grund darf es unter keinen Umständen örtlich beseitigt werden.
• Die Lehre Hahnemanns von den „Lokal-Übeln“, die ein wesentlicher Bestandteil seiner Lehre von den chronischen Krankheiten ist, ist schon vor 1790 in seinem „Unterricht für Wundärzte.... „ vorhanden.
• Sie besagt schon damals, daß der Schanker, das erste Lokalübel der Syphilis, auf keinen Fall durch örtliche Manipulationen weggenommen werden dürfe, weil er a) das Fortschreiten der Krankheit verhindert, so lange er unbehandelt bestehen bleiben kann, und b) weil er – so lange er örtlich unbehandelt ist – ein Zeichen dafür ist, daß das „venerische Gift“ noch anwesend ist.
• Auch zu der Lehre von den Lokalübeln ist Hahnemann durch seine Erfahrungen und Beobachtungen bei der Syphilis, seinem „Modell“ für chronische Krankheiten, gekommen.
Hahnemann beschäftigt sich weiterhin sehr intensiv mit den chronischen Krankheiten, bemängelt die allgemeine Unkenntnis der Materia Medica und die Unfähigkeit der Medizin, chronische Leiden zu behandeln. In seiner Schrift „Aesculap auf der Wagschale“ (1805) taucht zum ersten Mal der Begriff „psorisch“ auf.
Dennoch behandelt die meisten seiner Werke die Syphilis, die für ihn nach wie vor eine Infektionskrankheit ist – nie wird von der hereditären Syphilis gesprochen! Der Schanker ist keine rein lokale Affektion mehr, sondern ein Lokal-Übel: die Infektion haftet sofort und nimmt vom ganzen Körper Besitz, nach einiger Zeit ist sie völlig ausgebildet und verändert damit das Innere des Körpers → Lokal-Übel
Das Lokal-Übel ist Zeichen für das Vorhandensein der inneren Krankheit und beschwichtigt diese auch. Solange der Schanker ungehindert bleibt, kommt die inwohnende allgemeine venerische Krankheit nicht zum Ausbruch und am ganzen übrigen Körper bemerkt man nichts.
Ansteckung: Nach der „unreinen Begattung“ hilft kein Abwaschen und Reinigen der „Zeugungsteile“, die Krankheit geht ihren Weg, braucht aber ab diesem Zeitpunkt gewöhnlich 7 – 14 Tage, nicht selten 3 oder 4 Wochen, teilweise sogar 5 – 8 Wochen, bis sie sich im Innern ausgebreitet hat. Erst dann erscheint das äußere Zeichen des Schankers auf der Haut als Zeichen des inneren Übels. Die Gesamtkrankheit besteht von Anfang an, aber erst durch äußerliches Vertreiben bricht unaufhaltbar die Lustseuche aus. Eine örtliche Behandlung ist strikt verboten, auch bei Ausbruch der Lustseuche bleibt das Spezifikum aber Mercurius solubilis. Das Merkurialfieber kann so ohne äußerliche Behandlung Heilung bringen, in speziellen Fällen (wenn Gangrän oder andere Zerstörung des Penis droht) wurde dennoch äußerlich (hauptsächlich chirurgisch) behandelt.
Durch langwierigen Quecksilbergebrauch kann das venerische Miasm aus dem Körper sein (Geschwüre, Absonderung von dünner scharfer Jauche, empfindlich und schmerzhaft, erhabene Ränder, violett und hart), der Quecksilbermißbrauch hat den Körper geschwächt und in kränkliche Reizbarkeit versetzt, weiter Quecksilberbehandlung verschlimmert die Situation sichtbar. Kräftige Gegenmittel wären: kalte Bäder, Landluft, China, Mohnsaft, Bewegung, flüchtiges Laugensalz, örtliche Stärkungsmittel. (Durch Unterdrückung oder falschen Gebrauch von Merc wird hier die Psora geweckt! → wird aber erst später so erkannt und bis dato oft mit dem Begriff „skrofulöser Disposition“ bezeichnet)
Bei der Behandlung der Syphilis ist eine Schwächung des Körpers durch Entleerungen zu vermeiden. Die große Schwäche bei der Lustseuche schreitet fort, bei der geringste Quecksilbergabe kommt es zu ruhrartigen Durchfällen, unbändigem Schweiß und unaufhaltsamen Speichelfluß, das alle Kräfte aussaugt ohne das „Venusgift“ getilgt zu haben. Zudem besteht die Anlage zu „rheumatischer und gichtiger Schärfe“, zu Skropheln und Skorbut. Um dies zu verhindern, ist eine stärkende Vorbereitung notwendig.
→ Diese Vorgehensweise zeigt die ersten Ansätze zu der späteren geäußerten Meinung, dass man bei einer mit Psora kombinierter Syphilis zuerst die Psora heilen müsse. (in §206 und auch in den chronischen Krankheiten steht, dass das nur für die erworbene Syphilis gilt!! Wird oft übersehen!!)
Feststellungen:
- Schon 1789 wusste Hahnemann, dass es neben der Syphilis auch andere, nicht-venerische chronische Erscheinungen gibt.
- Schon damals forderte er, dass, wenn diese vorhanden, sie zuerst behandelt werden müssen.
- 1828 fasst er diese nicht-venerischen chronischen „Diathesen“ (bisher mit den Namen Skrofula, Skorbut, gichtische oder rheumatische Schärfe belegt) unter dem Namen Psora zu einer einigen chronischen Krankheit zusammen.
Historisch betrachtet war sehr viel an Wissen schon 1789 vorhanden, die Lehre über die chronischen Krankheiten und auch die Tatsache, dass die Syphilis eine chronische Krankheit ist, wurde durchaus angenommen.
Das Buch von 1828 aber erregte großes Aufsehen und vor allem Ablehnung bei Schulmedizin und Homöopathen. Die Erkenntnis, dass die Sykosis eine andere Symptomatik als die Syphilis darstellt, wurde dabei nicht geleugnet.
Die Ablehnung galt wohl einzig und alleine der Psora-Lehre. Als Unerhört wurde die Aussage angesehen, dass es neben der Sykosis und der Syphilis nur eine nicht-venerische Krankheit geben soll. Viele seiner Schüler lehnten dies auch ab und verweigerten ihm die Nachfolge.
Erstaunlich dabei war, dass ja Hahnemanns Lehre von den chronischen Krankheiten viele Elemente enthält, die im krassen Gegensatz zur offiziellen Medizin standen, z.B. die Lehre von Lokalübeln, die Lehre von den einseitigen Krankheiten, von den Geistes- und Gemütskrankheiten, von den Arzneimittelkrankheiten usw.. Aber nur die Psora-Theorie war das „rote Tuch“ und man beschäftige sich nicht mehr weiter damit.
Hahnemann hat aber dies weiterverfolgt und neben die beiden venerischen Krankheiten eine dritte chronische Krankheit gestellt, die zwar nicht venerisch war, aber denselben Gesetzen folgte und dieselben Verhaltensweisen aufwies. Dabei ist das Lokal-Übel das „wollüstig jückende“ und „nach dem Kratzen brennende, krätzeähnliche Bläschen“, das genauso wenig wie der Schanker unterdrückt werden darf, weil sonst die „innere Psora“ ausbricht. Die Destruktion kann dabei genauso fürchterlich wie bei den venerischen Krankheiten sein. Außerdem ist sie die älteste und weitverbreitetste chronische Krankheit und 7/8 aller chronischer Leiden gehen auf ihr Konto, nur 1/7 auf das von Syphilis und Sykosis. Ursache der von der offiziellen Medizin mit vielen verschiedenen Namen benannten Krankheiten ist einzig eine gemeinsame Krankheit, die man mit ihrem „Spezifikum“ treffen muß.
Daraus zieht Hahnemann den Schluß, dass Menschen, die frei von Psora, Syphilis und Sykosis sind, absolut gesund sind, ein Leben ohne Krankheit und Destruktion führen können und sich nicht einmal z.B. durch Zugluft erkälten können.
Hahnemanns „Traum“ war nun, sowohl die Psora, „die Urmutter“ aller Krankheiten, als auch Syphilis und Sykosis mit den Spezifika Sulfur, Mercurius und Thuja auszulöschen. Allerdings musste er feststellen, dass das so nicht funktionierte. In den „Chronischen Krankheiten“ Band II – V führt er weitere Antipsorika auf. Nur diese ca. 50 Mittel sind in der Lage, antipsorisch zu wirken, eine Erkenntnis, die leider viele Homöopathen bis heute nicht erkennen.
In Hahnemanns genialem Konzept wird jedoch von diesen Krankheiten nur immer als erworbene Krankheiten gesprochen. Die Erkenntnis, dass sie auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können und sich dabei ihr Erscheinungsbild verändern kann, überließ er seinen Nachfolgern, sofern diese sich mit den chronischen Krankheiten beschäftigen.
Aus einigen Andeutungen (Bericht von Dr. Peschier aus Genf, Krankenjournale aus der Pariser Zeit) geht dennoch hervor, dass sich Hahnemann seit 1828 offensichtlich schon mit der Möglichkeit der Heredität der chronischen Krankheiten beschäftigt. Allerdings beziehen sich diese Andeutungen zur Heredität lediglich auf die Psora, für die Syphilis und die Sykosis scheint er es noch nicht erkannt zu haben.
Feststellungen:
- Hahnemann kannte die von ihm gelehrten chronischen Miasmen nur als erworbene Krankheit.
- In seinem Alter hatte er aber schon Ahnung davon, dass sie auch in hereditärer Form auftreten können.
- Er hinterließ aber nirgends theoretische Erörterungen oder praktische Hinweise für ihre Behandlung.
Hahnemanns Schüler Kent ist in Sachen chronischer Krankheiten manchen anderen Weg gegangen. Z.B. bei der Behandlung der Syphilis glaubte Kent nicht daran, dass Hahnemann dies mit Merc. geschafft hat. Er war der Meinung, man müsse die Patienten homöopathisch begleiten, die Krankheit müsse aber ihren Verlauf gehen. Sie können aber gemildert und stark abgekürzt werden. Dies gilt auch für Krankheiten wie z.B. Scharlach, Keuchhusten, Typhus,...
Bei der Syphilis heißt das, dass die Patienten in allen Stadien begleitet werden sollen, der Schanker zunächst in Ruhe gelassen werden soll und später und in den weiteren Stadien die jeweils richtigen Verschreibungen getroffen werden sollen. Dabei ist wichtig, zu beobachten, dass die Heilung in umgekehrter Reihenfolge ihres Erscheinens ablaufen soll!
So ist es möglich, in sechs Monaten alle Stadien zu durchlaufen und dann geheilt zu sein.
Kent wusste dabei auch, dass der „Makel“ von Generation zu Generation weitergegeben wird, er benutzte dazu den Begriff „Konstitution“ – aber auch er gab keine theoretischen und praktischen Hinweise, wie eine heredität-chronische Syphilis zu behandeln ist.
Kent fügte dem aber noch etwas Wichtiges hinzu: Bei der Ansteckung der Syphilis übernimmt die Person, die angesteckt wird, die Krankheit in dem Stadium, in dem sich die erkrankte Person gerade befindet. Das gilt für Psora, Syphilis und Sykosis.
Kent geht außerdem näher auf die Empfänglichkeit zur Ansteckung ein. Kinder, deren Eltern an einer chronischen Krankheit leiden, haben eine besondere Empfänglichkeit für diese Krankheit. Wenn jedoch jemand an einer z.B. der Syphilis unähnlichen chronischen Krankheit leidet, muss es nicht unbedingt sein, dass derjenige sich an seinem an Syphilis erkrankten Partner ansteckt. Jedoch ein Kind dieser beiden kann durchaus wieder syphilitisch sein.
S. 62 – 65: Fall eines Jungen mit rezidivierenden fieberhaften Erkältungen; der Urgroßvater hatte mal Syphilis, was aber lange nicht bekannt war; (müsst Ihr ggf. selber lesen, ist ganz interessant)
Aus diesem Fall: Typisch für Syphilis: bilateraler Knochentumor, akut Scharlach
Wichtig ist also:
- ein Mittel zu finden, dass die chronische Krankheit heilen kann
- und außerdem darauf zu achten, dass das Mittel auch die zugrunde liegende Krankheit erreichen kann (Belladonna konnte hier zwar Scharlach (eine akut hereditär-syphilistische Krankheit) heilen, erreicht aber nicht die zugrunde liegende Syphilis)
- Exakte Fallaufnahme und gründliche Diagnostik!!
Viele Symptome v.a. im Hinblick auf chronische Krankheiten sind noch nicht bekannt und können auch durch Arzneimittelprüfungen nicht erforscht werden. Klinische Erfahrungen und das Sammeln von Beobachtungen aus der Praxis können hierzu neue Erkenntnisse liefern.
Was aber die Erforschung der chronischen Krankheiten bis heute außerordentlich behinderte, ist die Tatsache, dass nach Hahnemanns Tod kein Mensch mehr davon sprach.
Hier noch einmal zusammenfassend, was Hahnemann mit diesem Begriff von Anfang an ausdrücken wollte:
Feststellungen:
- Die chronische Krankheit oder das chronische Miasma ist eine Infektionskrankheit.
- Sie hat einen Ablauf und schreitet unaufhaltsam durch verschiedene Stadien bis zur Destruktion voran.
- Die Lebenskraft kann dazu keine Reaktionen hervorbringen, sie kann nur durch die Entwicklung von „Lokal-Übeln“ die Krankheit etwas beschwichtigen.
- Sie kann nur durch ganz spezifische homöopathische Mittel – beileibe nicht durch alle – geheilt werden.
- Modell für die chronischen Krankheiten ist die Syphilis mit ihren Stadien und Latenzphasen.
Nach Hahnemann wurde die klare Definition aufgegeben und der damalige „Mode- und Gummibegriff `Konstitution`“ eingeführt, was sehr sehr viel Verwirrung gestiftet hat. Konstitution oder Konstitutionstyp bezeichnet aber eher etwas Statisches, Veranlagungen, etc. und es wird vorgegaukelt, dass es sog. konstitutionelle Merkmale in den Arzneimittellehren gäbe. Haar- und Augenfarben sind jedoch keine Symptome von Krankheiten, wie sollen sie also Elemente bei einer Verschreibung sein. Die wahre Grundlage eines homöopathischen Mittels ist die Sammlung von Zeichen und Symptomen – und diese müssen krankhaft sein!
Da der Begriff Konstitution jedoch sehr verbreitet ist, ist immer wichtig, zu fragen, was genau damit gemeint ist.
Typisches Beispiel aus „Die Heilmittel von Fiebern“ von H.C.Allen, wo er schreibt, dass in der Regel die Familienvorgeschichte viel hinweisender auf das heilende Mittel ist, als manche Symptome. Der Name der Krankheit ist nicht wichtig, der Patient ist alles. Wenn Sulfur oder das bestens ausgewählte Mittel versagt, kann Psorinum oder Tuberkulinum aufgrund der Symptome und Besonderheiten der Familien-Vorgeschichte und der vererbten Diathese, helfen. Dies hat Allen bei allen Formen von Fieber und bei einer großen Anzahl von Patienten verifiziert.
H.C. Allen ist der erste Nachfolger Hahnemanns, der die Lehre der chr. KH auch auf die akuten KH anwendete. Dabei etablierte er die hereditär-chr. KH, bei denen die Familienvorgeschichte entscheidend ist! Er gab der hereditären Psora, der hereditären Tuberkulose die Schuld an den schwersten fieberhaften Erkrankungen und Rückfällen. In diesen schweren akuten KH setzt er auch Psorinum, Tuberculinum ein, wobei auch Psorinum (wie auch bei Burnett) ein grosses Antituberkulinikum ist. Allen vermischt noch die Begriffe Heredität, Miasma, konstitutionelles Miasma: besser ist der einheitliche Begriff: hereditär-chronische Krankheit.
Chamomilla ist kein grosses Antimiasmatikum.
Hahnemann benutzte den Begriff Konstitution für den Terminus chronische Krankheit, nicht aber für die Psora, Syphillis, Sykosis.
J.H. Allen (Prof. für Hautkrankheiten und miasmatische Erkrankungen am Hering Medical College in Chicago, Schüler und Freund von H.C. Allen) erstellte als Erster eine systematische Lehre der hereditär-chr. KH. Er sagt: es gibt keine perfektere Verbindung der Miasmen mit den Lebenskräften als wenn sie durch Heredität hervorgerufen wurden. Die tuberkulinische Diathese ist das Ergebnis dieser Vereinigung, sie ist in ihrer Tiefenwirkung die Schlimmste aller Krankheitszustände und –bedingungen die man nennen kann.
Allen sagt, dass 80% der behandelten Fälle in gewissem Grad sykotisch sind.
Wenn bei nur einem Elternteil chr. KH da ist, ist die Gefahr geringer für die Kinder.
Fall: Mädchen, 20J, heftige Dysmenorrhoe mit Schmerzen, Manie, Dysenterie. Familiengeschichte: Tuberkulinie (Tante, Onkel starben an Tbc). Therapie: Tub.
Ihre latenten miasmatischen tuberkulinischen (=pseudopsorischen) Symptome sind: trockenes Haar, Zahnreihe unvollständig, Zähne keulenförmig, unregelmäßig, Schneidezähne sägeförmige Auszackung. Gesicht blass, errötet leicht. Wimpern unregelmäßig, unvollständig gebogen, andere stummelig, gebrochen. Lidränder schuppig, rot. Hände, Füsse sind kalt, klamm. Nägel dünn, splittern, brechen.
→ zur Auswertung nicht nach Kent die auffallenden Symptome sondern die lokalen miasmatischen Symptome hernehmen. Es gilt: „nicht der Patient, sondern das chr. Miasma“.
Hahnemann hatte schon darauf hingewiesen: es gibt bei den chr. KH viele Symptome, die jedoch alle aus einer Wurzel stammen. Und diese muss erkannt und behandelt werden.
J.H. Allen: Der Arzt, der miasmatisch verschreibt, übersieht den Schaum an der Oberfläche und taucht tiefer in den Fall ein.
→ heisst: es ist wichtig bei hereditär-chr. KH nach miasmatypischen Zeichen und Symptomen zu suchen, diese sind wichtig für die Mittelwahl.
Heredität: es können alle Stadien der chr. KH gleichzeitig auftreten und völlig neue Zeichen und Symptome, die nur in der Heredität vorkommen.
Wenn eine Person mehrere Miasmen hat, ist meistens nur ein Miasma zur Zeit aktiv, die anderen sind in Latenz. Zur Heilung muss man die „Schicht“ erwischen, die oben liegt, weil man andernfalls erhebliche Turbulenzen beim Patienten erzeugen kann (Anmerkung Wiebke: Erstverschlimmerung?).
→ bei hereditären Miasmen immer das oben liegende/aktive Miasma zuerst behandeln.
→ ein zusätzlich erworbenes Miasma muss zuerst behandeln, da es aufgepfropft ist und oben liegt.
→ wenn bei den erworbenen Miasmen Psora und Syphillis vorhanden sind, wird die Psora zuerst behandelt (Hahnemann)
Vorstellung Kents zu Miasmen: mehrere Miasmen bleiben getrennt, selbst wenn sie einen „Komplex“ bilden. Durch das passende Mittel wird dieser Komplex getrennt und die Miasmen einzeln behandelbar.
Künzli: der Tuberkulinismus ist eine besondere Ausdrucksform der Psora.
J.H. Allen: Miasmen können sich zu einer untrennbaren Einheit verbinden, so dass ein neues Miasma entsteht, welches es nur in der Heredität gibt. Eines ist die Pseudo-Psora (Tuberkulinie), bei der seiner Meinung nach Psora und Syphilis untrennbar verbunden sind. Für die Heilung benötigt man besondere Mittel. Die Tuberkulinie ist die gefährlichste aller Kombinationen, weil die schlimmsten und lebensgefährdeten Zustände auftreten können, wenn darauf noch eine Sykosis aufgepfropft wird. Zeichen und Symptome der Tuberkulinie sind eine Mischung aus psorischen, syphilitischen Zeichen und Symptomen und eigenständige Symptomatik.
Pierre Schmidt: Kombination aus Psora und Sykosis.
→ die Gegner Allens machen einen Fehler: sie setzen die Tuberkulose der Tuberkulinie gleich. Die Tuberkulose ist aber eine psorische Erkrankung. J.H. Allen macht darauf aufmerksam, dass die Tuberkulose oft durch den Hinzutritt einer Sykose oder Syphilis zur Psora erst ausgelöst werden kann. Auf dem Terrain der Tuberkulinie kann auch eine Tbc entstehen. Die Tuberkulinie überspringt häufig eine Generation, d.h. sie bleibt in Latenz.
Während die reine Psora keine strukturellen Veränderungen hervorruft, ruft sie funktionelle Veränderungen hervor.
→ Die Psora kann sich mit der Syphilis (syphilitische Tuberkulinie), mit der Sykosis (sykotische Tuberkulinie) oder mit beiden (Kanzerinie) verbinden. Andere Belastungen der Vorfahren können sein: Impfbelastung (Vakzinose), Chinin-Behandlung einer Malaria, iatrogene Manipulationen, unterdrückende Maßnahmen.
Empfindlichkeiten:
Psora empfindlich auf: Medikamente.
Sykosis empfindlich auf: Operationen, Impfungen, Bluttransfusionen.
Syphilis empfindlich auf: Operationen, künstlicher Verschluss von Abflüssen.
Patienten, die zu einem „harmlosen Routineeingriff“ ins KH kommen und nicht mehr herauskommen wegen Komplikationen haben die Sykosis, entweder erworben oder hereditär.
Fehlgeburten, Geburten und deren Nachwirkung rühren oft eine alte latente sykotische Schwierigkeit auf.
Hahnemann ordnete viele Symptome der Psora zu, die der hereditären Syphilis, Sykosis oder Tuberkulinie zugehören. Der Homöopath muss durch eine exakte Fallaufnahme unterscheiden können, was der Pat. erworben hat und was er vererbt bekam.
Zeichen der hereditären Tuberkulinie: Koch´sches Seil (flottierendes Seil): an beiden Seiten der Pupille ragt ein Finger wie ein Brückenpfeiler heraus, von diesen Brückenpfeilern spannt sich ein Seil über die Pupille hinweg.
Zeichen der hereditären Syphilis: Schneegestöber der Linse.
Hereditäre Sykosis: totale oder partielle Gelbfärbung in der ursprünglichen Irisfarbe.
→ dadurch weiß man noch nicht, ob die Miasmen zur Zeit aktiv sind.
Burnett: fordert ein pathologisches Simillimum. Homöopathische Mittel, die nur nach den Symptomen des Patienten ausgesucht werden, wirken oft nur palliativ, haben aber keine heilende Kraft. Sie müssen auch dem pathologischen Prozess entsprechen. In vielen Fällen hat die individuelle Symptomatik des Kranken keinen oder nur wenig Bezug zu den pathologischen Veränderungen.
Fall: junges Mädchen mit wiederholten Anfällen von Hirnkongestion: Gesicht wurde heiss, rot, Pupillen offen, weit, ruhelos, warf sich umher, redet Unsinn. Belladonna heilte jedes Mal. Patientin starb: die Anfälle hatten ihren Grund in Tuberkeln. Belladonna beseitigte zwar die Symptome aber die Krankheit lief weiter. Bell geht nicht mit zum Ziel, sondern nur einen Teil des Weges.
Burnett verwarf das Heilmittel, wenn es nicht einen ähnlichen pathologischen Prozess und ähnliche Gewebsveränderungen hervorrufen kann.
Hahnemann stellte fest (chronische Krankheiten), dass nicht alle homöopathischen Mittel für die Heilung der chr. KH in Frage kommen.
Burnett teilt die Mittel in „Kinderpistolen“ und „Kanonen“ ein. Er meint, die Mittel müssten eigentlich über mehrere Generationen geprüft werden, um herauszubekommen, ob sie ähnliche pathologische Veränderungen hervorrufen können. Er beschäftigt sich mit speziellen organotropen Beziehungen. Er sagt, dass gewissen Organe des Körpers Organismen innerhalb des Organismus sind, d.h. kleinere Systeme innerhalb des großen Systems. Sie haben eine spezielle Individualität in Bezug auf ihre Funktionen und ihre Erkrankungen. Bei komplexen Krankheitsfällen wusste er von vorne herein, dass er mit einem Mittel nicht auskommen würde und einen Einstiegspunkt suchen musste, also einen „Nagel, an den er den Hut hängen kann“. Bei Tumorbehandlungen wechselte er zwischen den großen antimiasmatischen und den kleinen organotropen Mitteln ab. Er sagt: wenn nur ein Organ „autonom“ erkrankt ist, kann man es organopathisch heilen, wenn es dagegen erkrankt ist, weil der Gesamtorganismus unter einer chronisch-miasmatischen Krankheit leidet, dann bringen die organotropen Mittel nichts, werden nur beruhigend und lindernd wirken, dann muss man zu den großen Antimiasmatika greifen. Er meint, vor allem Tumoren seien nicht mit einem Mittel heilbar. Er sagt: Stellen Sie eine Leiter an eine Hauswand und klettern Sie zum Dachbodenfenster hinein. Dann sagen Sie mir bitte, welche Sprosse dieser Leiter Sie befähigt hat, oben anzukommen.
Hahnemann sagt in §173ff, dass man bei den einseitigen KH, die größtenteils zu den chr. KH gehören, mehrere Mittel einsetzen müsse. Ein Tumor ist eine einseitig-destruktive KH, wie sie fast nur auf dem Boden hereditär-chronischer Miasmen auftreten kann. Burnett sammelt die primär-miasmatischen Elemente aus der Vorfahrenschaft, die sekundär-miasmatischen aus dem Leben des Patienten, dazu alle auslösenden Ursachen wie Impfungen, Operationen, Krankheiten sowie alle organopathische Fakten.
Clarke, Burnett, Cooper, Boger fragen sich: wo setzt das Mittel an, welches ist die Region, in der es hauptsächlich seine Wirkung entfaltet, und entspricht diese dem Sitz der Krankheit? Sie kümmern sich um die Lokalisation. Auch Bönninghausen hat bei der Beschreibung eines vollständigen Symptoms die Lokalisation an die erste Stelle gesetzt.
Burnett räumte auf mit der Idee, daß jeder Mensch, jeder Krankheitsfall nur ein einziges Mittel bedürfe. Stattdessen mehrere Mittel, wohldurchdachte Mittelfolgen. Arzt = General mit Generalstabsplan mit Mittelfolgen. Am deutlichsten bei
Burnetts Tumortherapie: Tumor als einseitig-destruktive Erkrankung fast nur auf dem Boden hereditär-chronischer Miasmen. Alle Elemente des Falls sammeln, Primär-Miasmatik (Vorfahren), Sekundär-Miasmatik (aus dem Leben des Patienten), alle auslösenden Ursachen wie Impfungen, OPs, Krankheiten usw. sowie organopathische Fakten. Tumor als Ergebnis vieler Faktoren. Dementsprechend legte sich Burnett einen Plan und eine Reihenfolge fest, nach denen er seine Mittel einsetzte.
Hahnemanns Lehre von den einseitigen Krankheiten (§173-184): Beispielfall eines Studenten der einen völlig eingerollten, eingewachsenen, gespaltenen und in sich verkrümmten Nagel seines rechten großen Zehs hatte der unschön eiterte. Sonst hatte der Patient und Vorfahren nichts.
Einseitig: nur eine Seite der Krankheit, nur ein Syndrom, nur ein Zeichen, nur ein Symptom zeigt sich, der Rest verbirgt sich in Latenz (Eisbergphänomen). Der Rest ist weder diagnostisch noch therapeutisch zu fassen (siehe § 173). Weiteres Beispiel eines Patienten mit Akne und sonst nix.
Kein Therapieerfolg. Jedoch Akne tuberkulinisch -> Tuberculinum half. Einseitige Krankheiten meist hereditär-chronische Krankheiten. Tuberkulinie immer hereditär.
Beipiel einer 75-jährigen Patientin mit brennenden Fußschmerzen, Logorrhoe, sonst nix. Sulfur und Lachesis halfen nicht. Medorrhinum half.
Mit 40 Jahren Tripper schulmedizinisch unterdrückt -> keine einseitige Krankheit sondern Unaufmerksamkeit des ärztlichen Beobachters / unkorrekte Fallaufnahme (siehe §175). Bei dem sehr seltenen Fall der einseitigen Krankheit Mittelwahl nach Anleitung dieser wenigen Symptome nach bestem Ermessen (§177).
Wenn diese wenigen Symptome sehr auffallend, bestimmt und von seltener Art kann Mittel sogar passen (§178, 179)(sehr selten). Sonst werden durch dieses erste Mittel Nebenbeschwerden hervorgerufen / hervorgelockt / zu erscheinen bewogen. Dies sind keine Arzneimittelprüfungssymptome (§180, 181).
Nun neue Mittelwahl. Erstes Mittel zur Vervollständigung des Symptomen-Inhalts der Krankheit (§182). Nach erster Mittelgabe neue Fallaufnahme. So fährt man fort, bis das endgültig richtige Mittel gefunden ist (§183, 184). Ausnahme bei sehr schlechtem Zustand des Patienten durch Schmerz und Beschwerden, Gabe von Mohnsaft und die Symptome der Krankheit kommen in der Nachwirkung deutlich zum Vorschein.
Wenn Mittel aber gar nicht paßt, wird auch nichts bewirkt. Wenn keine Möglichkeit besteht dieses erste Mittel zu finden, steht man mit dieser Methode auf verlorenem Posten.
Immer also auch bei nicht einseitigen Krankheiten auf die Reaktionen achten nach Mittelgabe. Beispiel Frau mit fürchterlicher Dysmenorrhoe und einem ganzen Urwald voller guter Symptome. Bereits zwei Vor-Homöopathen-Versuche.
P.Schmidt zählt Fälle mit zu vielen Symptomen auch zu den einseitigen Krankheiten. Auf Nat mur starke Gemütsveränderung mit Abneigung gegen Ehemann und schwerer Ehekrise, auf Calc carb fürchterliche Unterbauchbeschwerden mit Gefühl, die Gebärmutter werde herausfallen. Zweimal hatte sie auf ein Mittel mit typischen Sepia-Symptomen reagiert -> Sepia half
Lokalübel (§185-205). Verbot Lokalübel mit äußeren Mitteln wegzunehmen.
(§188-190) Kein Lokalübel ohne Zustimmung und Teilnahme des übrigen lebenden Ganzen, des Lebensprinzips. Selbst Entstehung eines Lokalübels läßt sich ohne Veranlassung durch das (verstimmte) Leben nicht denken. Behandlung mit inneren Heilmitteln zur Heilung des allgemeinen Leidens.
Organismus als große Einheit, Innen und Außen gehören zusammen gesteuert vom Lebensprinzip, von der Lebenskraft. Der ganze lebende Organismus verlangt tätige dynamische Hilfe um in den Stand gesetzt zu werden, das Werk der Heilung zu vollführen (§186).
Bei einseitigen Krankheiten sind lokale Symptome vorhanden, die anderen sind verdunkelt. Bei einseitigen Krankheiten Lokalübel oder ein inneres Leiden.
Geistes- und Gemütssymptome. Hahnemann unterschied zwischen exogener und endogener Depression. Endogene Psychose als einseitige Krankheit. Fast alle Geistes- und Gemütssymptome als einseitige Krankheit unter Verminderung der Körpersymptome (§215).
An sich gibt es nur „vollständige“ Krankheiten, aber bei manchen geht ein Teil der Symptomatik in die Latenz, die Symptome tauchen ab, verdunkeln sich, der Restteil erhöht sich, wird schlimmer, deutlicher. Bei Geistes- und Gemütskrankheiten ehemalige Körper-Symptomatik ausfindig machen, von der auch jetzt noch Spuren vorhanden sind (§216, 218, 219).
Man nehme ehemalige Körperkrankheitssymptome, die unscheinbar gewordenen Spuren, sowie die Geistes- und Gemütssymptome und suche aus den Antimiasmatika das passende Mittel heraus. Beispiel Frau Mitte 30 mit Depressionen mit Suizidgedanken.
Sie hatte schwere Zangengeburt mit total verformtem Kopf der grün und blau gewesen sein soll. Arnica bewirkte ein einwöchiges Fieber und danach keine Depressionen mehr. Körperliche Verletzungs-Causa mit einseitigen Auswirkungen in den „Geistes- und Gemütsorganen“. Syphilis oder Gonorrhoe des Großvaters wäre auch eine solche Causa.
Modell für Geistes- und Gemütskrankheiten: von der vollständigen Krankheit zur einseitigen Geistes- oder Körper-Krankheit. Somatische Einseitigkeit mit pathologischen Gewebeveränderungen, Tumoren, Gewächse, Zerstörung der Zellen usw.. Hier ergänzt Risch, daß zur ursprünglichen „vollständigen“ Krankheit auch die Symptomatik der ursprünglichen Krankheit der Vorfahren gehört.
Kent meinte Krebs ist unheilbar, weil keine Zeichen und Symptome vorhanden sind. Bei Krebs, Tuberkulose, Diabetes, Bright´scher Krankheit und allen organischen Veränderungen des Körpers ist das auch so – je mehr die Pathologie fortschreitet, desto mehr nimmt die verwertbare Symptomatik ab.
Cooper (im Kreise von Burnett, Skinner, Cooper, Clarke) mit Arborivital – Methode. Vergleich Tumorbildung durch Wachstumskraft hervorgerufen mit Wachstumskraft eines Samen einer Pflanze. Drei Möglichkeiten der Ähnlichkeit zwischen der Pflanze und dem Tumor: 1) Lokalisation: wo wirken bestimmt Pflanzen vorzüglich; organotrope Wrkung. Gabe von Urtinktur 2) Toxikologie der Pflanze 3) Symptome vor Ausbruch des Tumors
Cooper gab diese Tumorarzneien als speziell hergestellte Urtinkturen tropfenweise und wiederholte nicht bevor die Wirkung des ersten Tropfens aufgehört hatte. Hierbei ließ er die Chronischen Krankheiten Hahnmanns gänzlich außer Acht.
J. Compton Burnett ein Meister in der Behandlung einseitig-destruktiver Krankheiten die in den meisten Fällen hereditär-chronische Miasmen sind.
Die vier Forderungen J.C.Burnett´s bei der Behandlung hereditärer Krankheiten:
Wir brauchen:
1. die Erkenntnis des oder der zugrundeliegenden Miasmen,
2. das pathologische Simile,
3. eine Leiter-Serie von Mitteln,
4. die Organopathie
Zu 1. Häufig Einstieg mit Nosode des entsprechenden Miasmas. Eine der wichtigsten Aufgaben, die organischen Veränderungen und Krankheitserscheinungen der einzelnen Miasmen zu erlernen.
Zu 2.einseitig destruktive Krankheiten mit organischen Veränderungen verlangen ein pathologisches Simile. Unterscheidung der Mittel in „Kinderpistolen“ und „Kanonen“. Hier Abgrenzung zur Kent-Schule die vor allem auf die Übereinstimmung mit der Symptomatik schaut.
Zu 3. Burnett gab an, daß er im Schnitt 2-3 Jahre zur Behandlung eines Tumors benötige. Hierbei gabe von mehreren oder vielen Mitteln hintereinander in dieser Zeit.
Serie der Mittel wie eine Leiter, bei der keine Sprosse fehlen darf oder wie ein Schachspiel mit vielen Zügen und genauer Kenntnis der Funktion der einzelnen Figuren.
Zu 4. Burnett nahm das einzelne Organ des Körpers ernst. Einstieg in einen Fall über die Organopathie möglich. Zwischengaben von organotropen Mitteln in Urtinktur oder tiefen Potenzen da antimiasmatische Behandlung mit höheren Potenzen den Organismus anstrengt und schwächt.
Unmittelbarer Zusammenhang zwischen einzelnen Organen. Erfolfsorgan oft gar nicht der Ausgangspunkt. Beispiel Brusttumoren, bei denen die eigentlich erkrankten Organe der Uterus oder die Eierstöcke seinen, die Brust synorganotrop nur das Erfolgsorgan ist. Hier häufig Aurum mur. natr. passen.
Nach Cooper und Burnett nor noch A.H.Grimmer aus USA mit wirklichem Wissen über hereditär-chronische Miasmen. Vithoulkas-Homöopathie als vereinfachte Kent-Homöopathie. Viele auf der Reise ins Gemüt. In der dortigen Literatur keine geheilten Fälle von einseitig-destruktiven Erkrankungen. Gerade bei den einseitig-destruktiven müßte man deren Symptomatik genau kennen um den Falle im Sinne Hahnemann´s oder Kent´s lösen zu können.
Genau studieren:
1. die Symptomatik der hereditären Miasmen genau kennenlernen
2. die Toxikologie alter und neuer Mittel genau kennen
3. die Lokalisation, der Ort, wo die Mittel pathologisch ansetzen ausfindig machen und lernen
S.137 Literaturangaben
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